Tödliche Kunst
StartAktuellDas BuchBilderVorbestellungForumImpressum
Auszug
Feedbacks
Geschichte des TKD
TKD und Olympia
Wer hat Angst?
TKD und Olympia

Schwarze Gürtel, schmutziges Geld

(Neuübersetzung des 10. Kapitels von: Andrew Jennings, "The New Lords of the Rings: Olympic Corruption and How to Buy Gold Medals", 1996. Auf Deutsch erschienen als: "Das Olympia-Kartell. Die schäbige Wahrheit hinter den fünf Ringen." Rowohlt, 1996.)

   Welch ein stolzer Moment für die jungen Taekwondokämpfer, wenn sie in Sydney auf der Matte stehen, um das erste Mal um olympische Medaillen zu kämpfen. Mickey Kim wird sich das Ganze mit noch größerer Freude anschauen. Die Welt wird Zeuge, wie eifrige Sportler sich um Ehre für ihr Land, den Sport und die olympischen Ideale bemühen. Für Mickey bedeutet das Dollars, D-Mark und Britische Pfund. Denn jeder Wettkämpfer, jeder Kampfrichter und jeder Funktionär musste ihn für das Privileg bezahlen, bei den Jahrtausendspielen dabei zu sein. Es ist ein weiteres olympisches Gaukelspiel, und Mickeys Monopol hat den Segen von IOC-Präsident Samaranch und der Nationalen Olympischer Komitees aus aller Welt.

   Es war ein schmutziges Geschäft gewesen, wie olympisches Taekwondo seinen exklusiven Status erlangt hat. Etwa Dreiviertel der Wettkampfsportler weltweit wurden davon ausgeschlossen, und eine rivalisierende Sportart wurde per Sprungtritt in den Unterleib ins olympische Jenseits befördert. Die Regeln und Praktiken von Mickeys World Taekwondo Federation sprechen der Olympischen Charta Hohn. Erfahrene IOC-Mitglieder geben dies auch zu – hinter vorgehaltener Hand. Nach ihnen steht diese Organisation in enger Verbindung zu korrupten Politikern in Korea, und der Boss leitet sie wie einen privaten Geheimdienst, unter Beihilfe von olympischen Funktionären. Dennoch machen sie Mickeys Taekwondo-Stil Zugeständnisse wie keinem anderen Sport auf der Welt.

*

   Die Kunst des Tretens und Schlagens hatte sein olympisches Debut als Demonstrationssport in Seoul. Bis Atlanta war es jedem Gastland erlaubt, seinen eigenen Sport zu präsentieren, und niemand hatte etwas dagegen, als die Koreaner Taekwondo wählten. Bei der Eröffnungsveranstaltung traten knapp über tausend Kämpfer auf. Doch beim Wettbewerb übertrieb es Mickey: bis aufs Schwergewicht der Männer wurden alle Titel von Koreanern geholt[1]. Und obwohl Samaranch sich extra aufraffte und die Medaillen persönlich übergab, sah der Rest der Welt nur ein lokales Sportereignis, in dem lokale Sportler und Kampfrichter die entscheidenden Rollen spielten, und der in einem olympischen Programm nichts zu suchen hatte.

   Das hätte das Ende von Mickeys Plänen bedeuten können, seine Kämpfer zu den Spielen zu bringen, doch Samaranch gab ihm eine zweite Chance. Taekwondo wurde in Barcelona noch einmal als Demonstrationssport zugelassen, was noch nie vorgekommen war. Mickey hatte seine Lektion in Seoul gelernt und ließ viele seiner besten Kämpfer zuhause. Die Medaillen verteilten sich so über verschiedene Länder, und Taekwondo war seinem eigentlichen Ziel einen Schritt näher gekommen.

   Die entscheidenden Dinge fanden in Barcelona nicht nur auf der Matte statt. In der Abgeschiedenheit der IOC-Versammlung versetzte Mickey dem einzigen anderen Sport, der anstelle von Taekwondo ins olympische Programm hätte aufgenommen werden können, den entscheidenden Schlag. Mit  Fechten, Boxen und Judo[2] waren Kampfsportarten bei den Spielen bereits gut vertreten. Wenn es Raum für eine weitere gab, dann musste es sicherlich der überaus beliebte Karatesport sein.

   Drei Jahre, bevor Kim 1973 seine kleine, von der KCIA[3] gesponserte World Taekwondo Federation ins Leben rief, hatte Jacques Delcourt in Paris die World Union of Karate Federations[4] (WUKO) gegründet. Karate befand sich damit auf dem langen Weg zu den Olympischen Spielen.

   In den frühen 1980er Jahren bemühte sich Delcourt beim IOC um die offizielle Anerkennung. Damals hatte Mickey Kim bereits einen gewissen Einfluss in Lausanne, er hatte einen Sitz in einem von Samaranchs IOC-Ausschüssen und bereits die Anerkennung seiner Taekwondo-Organisation erreicht. Er war einen Schritt weiter, doch der größere, angesehenere sportliche Rivale saß ihm im Nacken. Was dem Karate danach passierte, hatte mehr mit einem Spionage-Handbuch zu tun als mit der Olympischen Charta.

   Die Bemühungen der WUKO um Anerkennung wurden plötzlich von einem konkurrierenden Karateverband torpediert, der International Traditional Karate Federation (ITKF)[5], einer kleinen, puristischen Gruppe mit wenigen tausend Mitgliedern, viele von ihnen professionelle Trainer, die ihre eigene Version des Sports praktizierten. Die ITKF war nur in sechs Ländern vertreten, die WUKO dagegen in fünfundachtzig.

   Samaranch wurde prompt zum großen Demokraten, der sich hingebungsvoll um die Rechte von Minderheiten bemühte. Es durfte keine Anerkennung des IOC erfolgen, solange die riesige WUKO sich nicht mit seinem winzigen und ungeliebten, entfernten Verwandten vereinigte. Die beiden Verbände kamen 1983 in Kairo zusammen und unterzeichneten eine Vereinbarung, die von dem kleineren bald darauf zerrissen wurde.

   Delcourt ließ sich nicht aufhalten, und auf der IOC-Sitzung 1985 in Ostberlin wurde die Karate-Angelegenheit angehört. Es wäre wohl nichts dabei herumgekommen, wenn sich Louis Guirandou-N’Diaye, IOC-Mitglied der Elfenbeinküste, nicht überraschend dafür eingesetzt hätte. N’Diaye hatte einen Schwarzgurt mit dem 4. Dan im Karate und sprach für die WUKO. Die Hintergründe des Karate-Kriegs waren ihm wohlbekannt. Er erklärte, dass der kleinere Verband seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte, nachdem es ihm nicht gelungen war, den größeren zu vereinnahmen. Schwerer wiegte aber, dass er durch seine sportlichen Kontakte zu Südafrika Regularien der UNO verletzt hatte. N’Diaye drängte darauf, die WUKO anzuerkennen, und die IOC-Mitglieder stimmten zu. Sie unterstützten auch seine Ansicht, dass eine Vereinigung der beiden Karateverbände für die olympische Zukunft des Sports nicht notwendig war.

   Samaranch musste die Anerkennung zwar bewilligen, aber er förderte zugleich Maßnahmen, die WUKO zu beschädigen. Obwohl das IOC N’Diayes Argumentation akzeptiert hatte, wurden Meetings abgehalten und Briefe verschickt, die die Vereinigung nahelegten. Bis zum Ende der 1980er Jahre zog sich der Streit hin, und nach Delcourt wurde sein Verband vom IOC regelrecht verfolgt. Er hatte recht: irgendwann versteifte sich die Haltung Lausannes, und man bestand wieder auf einer Vereinigung. Verzweifelt wandte sich Delcourt an Mario Vázquez Raña, um bei der ITKF zu vermitteln. Es kam zu einigen Vereinbarungen, aber die ITKF ließ sich nicht umstimmen.

   Im Jahr 1990 fuhr Delcourt nach Belgrad, um seinen Fall erneut dem Exekutivkomitee des IOC vorzutragen. Man versprach ihm eine detaillierte Untersuchung, knüpfte aber bereits heimlich das letzte Hemd für die WUKO. Im Jahr darauf kam vom Exekutivkomitee, zu dem Mickey Kim inzwischen gehörte, unerwartet die Anweisung an die WUKO, sich mit dem kleinen Vetterchen zu vereinigen, um nicht von der Olympischen Bewegung ausgeschlossen zu werden.

   Dieses Manöver erfolgte kurz vor den Olympischen Spielen in Barcelona. Als die Fans das Barcelona-Motto „Freunde fürs Leben“ anstimmten, inszenierte Samaranch im Hintergrund einen Todesfall in der eigenen olympischen Familie. Die WUKO-Angelegenheit befand sich nicht einmal auf der Tagesordnung der IOC-Session, und so war nur wenigen Mitgliedern klar, dass sie drauf und dran waren, etwa vierzig Millionen Sportler aus ihrer Bewegung auszuschließen.

   Delcourt versichert, er habe nicht gewusst, dass die Zukunft des Karate auf dem Spiel stand. Nur drei Minuten dauerte die Exekution. Samaranch verkündete in einem Bericht, der Streit zwischen den beiden Verbänden „beschädige Karate insgesamt“ und empfahl den Entzug der olympischen Anerkennung. Zu seiner Schande gehorchte ihm das Komitee, und die WUKO, nach eigenen Angaben der zehntgrößte Sportverband der Welt, und seine 152 Ländervertretungen wurden in die Dunkelheit verbannt. Kims Taekwondo-Stil war nun der Spitzenreiter im Olympia-Rennen.

   Delcourt war außer sich; er verurteilte die einseitige Entscheidung als „Stalinistischen Prozess“ und forderte das Recht, mit einem Anwalt vor dem IOC zu erscheinen. Seiner Ausführung nach hatte Samaranch ihm zu verstehen gegeben, dass sie in dem Fall die Anerkennung der WUKO für immer verweigern und den Fall an ihre Anwälte übergeben würden. Das würde zehn Jahre dauern und Millionen kosten.

   „Korruption und Erpressung“, schimpfte Delcourt, und fügte hinzu: „Das Gerücht geht um, dass es sich um einen Pakt zwischen Samaranch und seinem Freund Kim handelt. Karate ist weltweit zehn- bis zwanzigmal so wichtig wie Taekwondo und sollte viel eher bei den Olympischen Spielen sein, aber das passt Kims schäbigen Geschäften nicht in den Kram. Ein IOC-Mitglied hat mir gesagt: ‚Kim wird von Samaranch beschützt, niemand kann ihm etwas anhaben‘.“

*

   General Choi hatte das selbst schon herausgefunden. Im Jahr 1984 war der im Exil lebende Vater des Taekwondo und Anführer der International Taekwon-Do Federation nach Lausanne gefahren, um auf Samaranch einzuwirken. Er wurde begleitet von einem der führenden Taekwon-Do-Trainer Amerikas, Chuck Sereff, der mit dem 8. Dan damals der höchstrangige Nichtasiate war. Der große Mann mit den verschwielten Händen, die er durch das Zertrümmern von Brettern und Steinen davon getragen hatte, war mit dem General um die Welt gereist. „Ich bin ihm erstmals 1968 begegnet. Er wurde von jedem aus dieser Sportszene wie ein Gott verehrt“, berichtet er. Aber nicht von Samaranch. „Als wir Samaranch trafen“, erinnert sich Sereff, „versicherte er uns: ‚Taekwondo wird niemals ein Sport um olympische Medaillen werden, wenn die ITF und WTF sich nicht zusammenschließen, und sei es auch nur für die Zeit der Spiele‘.“

   „Der General sagte, er habe die Verhandlungen geführt, weil er es für wichtiger halte, dass Taekwondo anerkannt wird, als dass er persönlich dabei etwas gewinne“, ergänzt Sereff, „und nach Samaranch was dies eine ‚grandiose Idee‘. Gleich nach dem Treffen verschickten wir Briefe an die WTF, in denen wir um Gespräche baten. Sie haben nie geantwortet.“

   Reaktionen gab es nur von den Spionen. „Die KCIA setzte sich mit all unseren koreanischen Trainern weltweit in Verbindung, vielleicht zwanzig oder dreißig, vielleicht auch mehr, und setzte sie unter Druck, zu Kims Verband zu wechseln“, erklärt Sereff. „Dann setzten sie unsere Taekwon-Do-Schulen unter Druck. Hier in Denver eröffnete die WTF eine konkurrierende Schule nur fünf Blöcke entfernt von einer, die von einem meiner besten Trainer geleitet wurde. Einer seiner Schüler ging herüber und fragte, warum gerade hier, so nah bei einer ITF-Schule, und der Mann antwortete, dass es ihm so aufgetragen worden war. Viele Trainer kamen so, eröffneten Schulen, verloren Geld, zerstörten bereits bestehende Schulen und zogen weiter.“

   Choi kämpfte weiter, aber Mickey Kim hatte nun die Unterstützung Samaranchs. Lausanne gackerte Kims Angebot nach, dass Chois Leute zu seinem Verband wechseln konnten – wenn sie sich dazu entschieden. Ganz wie dem großen Karateverband gesagt worden war, dass sie sich mit dem kleineren vereinigen müssten, wenn sie nicht von der Olympischen Bewegung ausgeschlossen bleiben wollten, so wurde jetzt Chois älterer und größerer Organisation gesagt, dass sie ihren Verband auflösen und dem kleineren, jüngeren KCIA-Produkt beitreten sollten.

   Wenige Monate vor der Taekwondo-Premiere in Seoul schrieb Choi an Samaranch mit der Bitte, sich Mickey Kims Sportverband noch einmal anzusehen. „Die WTF wird von Politikern und Vertretern der koreanischen CIA anstelle von Taekwondo-Leuten geleitet und kontrolliert“, versicherte der General, „und seine Satzung bestimmt, dass der Verbandssitz für immer in Seoul bleiben wird. Es ist nichts anderes als eine quasi-staatliche Einrichtung Südkoreas und kein internationaler Sportverband.“

   Und betrieb man dort überhaupt den echten Sport? Sie verwendeten „jeden Taekwondo-, Karate-, Judo-, Kung Fu- oder Hapkido-Trainer“, stellte Choi fest, und sie vereinfachten die komplizierten Bewegungen zu einem Vollkontakt-Sparring-Event, das sich nach olympischen Wettbewerben und Fernsehübertragungen richte.

*

   Die Sitzungen von Kims Verband würden herrliche, unterhaltsame Fernsehsendungen abgeben. Im Oktober 1989 kamen um die sechzig Delegierte in Seoul zusammen, die angeblich dreißig Millionen Mitglieder vertreten sollten. Nettigkeiten wie bitch und bastard erschallten aus dem Verbandsbüro, als sich die Frau eines Delegierten mit einem von Kims Funktionären stritt. Bei der Versammlung ging das Theater weiter. Kim erklärte ihnen, sie müssten einen „missionarischen Sinn“ haben, und wurde gleich darauf ohne Gegenstimmen zum Präsidenten wiedergewählt. Die meisten Funktionäre standen auf, um zu applaudieren, und Kim bedankte sich bei ihnen für das Vertrauen.

   Dann glitt das Treffen sanft in ein Schauspiel jener Art der Spontandemokratie, die ohne Regularien auskommt. Es sollten geheim sechs Vizepräsidenten gewählt werden, ein Generalsekretär, ein Schatzmeister, zweiundzwanzig Komiteemitglieder und ein Buchprüfer. Aber was für eine Zeitverschwendung für vielbeschäftigte Männer!

   Ein Mitglied aus Ägypten erhob sich und drängte darauf, Mickey Kim komplett freie Hand bei der Vergabe all dieser Posten zu geben; sofort wurde er von drei Kollegen unterstützt. Kim bat die Delegierten, aufzustehen, wenn sie „die Macht an mich delegieren wollten, alle Funktionäre selbst zu bestimmen.“ Fünfzig folgten der Aufforderung, und Kim erhielt sämtliche Vollmachten. Sieben Europäer blieben stur sitzen und widersprachen ihm somit, und vier Delegierte fehlten ganz.

*

   Michey Kim bedient eine Gelddruckmaschine. Es beginnt schon bei den ersten sportlichen Gehversuchen. Der einzige Weg, wie man diesen Sport trainieren und lernen kann, führt über einen professionellen Trainer. Sang Lee etwa, ehemaliger Chef von Mickey Kims Ableger in den USA, berechnet in seiner eigenen Schule in Colorado Springs 2.365,- Dollar für einen dreijährigen Schwarzgurtkurs. Wenn ein Schüler in Raten zahlen will, summiert sich das mit den Zinsen auf 2.880,- Dollar.

   Wer ein olympischer Athlet werden will, muss tiefer in die Tasche greifen. Mickey nimmt das Geld auf zwei Arten ein. Seine WTF ist im Gebäude des Kukkiwon in Seoul ansässig. Doch „Kukkiwon“ ist außerdem der Name einer eigenständigen Organisation – sie ist ein wahrer Goldesel. Um an die notwendigen Lizenzen für den Olympia-Wettkampf zu gelangen, muss man sie von der WTF kaufen, falls man Mitglied ist, andernfalls direkt beim Kukkiwon. Schickst du Mickey das Geld, kannst du von Gold träumen. Wenn nicht, bleib zuhause und sieh dir den Sport im Fernsehen an.

   Kurz vor den Spielen in Barcelona wurde dieses Kukkiwon-System vom amerikanischen Großmeister Sang Kyu Shim angegriffen. Er bezeichnete die WTF als „ein profitables Geschäft mit Quasi-Konzessionen, das hunderttausende von Dollars an Prüfungsgebühren allein von US-amerikanischen Schwarzgurtkandidaten einsackt.“ Er fügte hinzu: „Man wundert sich, wo das Geld eigentlich bleibt?“

   Er veröffentlichte seine Kritik mit der Zeichnung einer dollarfressenden Registrierkasse mit dem angehefteten Namen „Kukkiwon“ und kam zu dem Schluss, die WTF sei wie ein „überholtes sozialistisches Wirtschaftsmodell – gigantisch und einheitlich, aber monopolistisch, ineffizient, unflexibel und erstarrt.“ Andere sagen, sie sei korrupt. Es gibt genug Anschuldigungen, dass Taekwondo-Graduierungen gekauft werden können. 1994 erklärte ein Dutzend Meistertrainer in Georgia, das Kukkiwon verkaufe Zertifikate an unqualifizierte Teilnehmer. Unterstützt wurden sie von Großmeister Kim Chung Eun von der Taekwondo Times. Er schätzt, dass allein aus Amerika jährlich bis zu einer Million Dollar für Prüfungszertifikate ans Kukkiwon in Seoul fließen. „Es sieht für mich so aus, als ob die WTF-Führung alle Macht und finanziellen Erträge einfach für Südkorea behalten will“, schreibt Kim.

   Das Kukkiwon hat zwei Gebührenebenen für Zertifikate aufgestellt. In den späten 1980er Jahren mussten Ausländer bis zu fünfmal so viel zahlen wie Koreaner. Ein Meister, der sich von Mickey Kim getrennt hat, bezeichnet das als finanzielle Ausbeutung. Durch dieses Monopol, sagt man, fließen Gelder von bis zu 30 Millionen Dollar jährlich nach Korea.

   Taekwondo-Experten aus dem Inneren des Kukkiwon sagen, dass Kim und viele seiner Funktionäre kein Gehalt von der WTF beziehen. „Sie haben irgendwoher ihr eigenes Geld“, erzählte mir einer.

   TAEKWONDO in Großbritannien ist geteilt. Mickeys WTF-Vertretung rechnet mit 15.000 Mitgliedern, doch die Kritiker argwöhnen, dass sie im günstigsten Fall höchstens 9.000 Kampfkunstfreunde haben. Jenseits aller olympischen Hoffnungen befindet sich das British Taekwondo Council mit nach eigenen Angaben 25.000 registrierten und versicherten Mitgliedern. Bei den Ausscheidungswettkämpfen für die Spiele in Seoul 1988 konnte sich niemand für das Team des Vereinigten Königreichs qualifizieren, der nicht Mickey Kims Verband angehörte. Vier Jahre später fuhr kein einziger britischer Kämpfer nach Barcelona; Kritiker sagen, weil die Koreaner sie nicht einladen wollten.

   Wenn es das IOC Mickey erlaubte, bei den Spielen 2000 in Sydney Wettkämpfe in all den üblichen Gewichtsklassen durchzuführen, dann gäbe es sechzehn Goldmedaillen zu gewinnen. Zyniker sagen voraus, dass koreanische WTF-Kämpfer unter Aufsicht koreanischer WTF-Kampfrichter alle Medaillen mitnehmen und Korea so die bisher höchste Anzahl an Goldmedaillen verschaffen und Mickey Kim zum Nationalhelden erheben werden.

   Im Ausland gibt es aus den eigenen Reihen bereits Rücktrittsforderungen an Mickey. Bei einer Gesprächsrunde auf einem Treffen der Meister, die in der Taekwondo Times veröffentlicht wurde, bemerkte ein führender amerikanischer Trainer höflich: „Dr. Kim besitzt exzellente Management-Fähigkeiten, aber er ist kein wirklich ausgebildeter Taekwondo-Meister.“

   Das war sehr diplomatisch ausgedrückt. General Choi hatte den Sport entwickelt und reiste noch in seinem neunten Lebensjahrzehnt um die Welt, um auf der Grundlage seines fünfzehnbändigen Standardlehrbuchs Seminare zu geben. Ob Mickey Kim auch so etwas könnte? „Er hat noch nicht einmal auf der Matte gekämpft“, sagt Chuck Sereff abschätzig. Taekwondomeister in Großbritannien und Amerika, mit denen ich gesprochen habe, sind seiner Meinung. Mickey ist vor mehr als zwanzig Jahren von einem korrupten Militärregime auf die Position gehievt worden, weil er ein zuverlässiger Spion war, und mit Unterstützung der Nachfolger konnte er sich dort halten.

*

   Nach der zweiten Demonstrationssport-Veranstaltung in Barcelona setzte Mickey Kim seine Kampagne zur olympischen Anerkennung des Taekwondo im Madison Square Garden in New York fort. Neun IOC-Mitglieder folgten der Einladung zur elften Taekwondo-Weltmeisterschaft, und dann ging es im September 1994 nach Paris, wo das IOC darüber abstimmte, seinen Taekwondo-Stil bei den Spielen in Sydney zuzulassen.

   Auf persönlicher Ebene ist Mickey Kim im IOC nicht sehr beliebt. Ein Mitglied aus dem Exekutivkomitee gestand mir: „Ich glaube, dass er eine Mischung aus Gangster und Spion ist. Es gibt viel Gerede darüber, dass er die koreanische CIA leitet. Mit Sicherheit ist er dort ausgebildet worden. Er ist ziemlich undurchsichtig. Er ist sehr ehrgeizig. Er hat dieses Netzwerk vom Taekwondo, das von der koreanischen Regierung komplett unterstützt wird, das ist sein Job. Er ist ein Angeber und ein Schlägertyp. Er ist all das, was man sich unter jemandem aus jener Region der Welt vorstellt, der eine machtvolle Position errungen hat.“

   Mindestens ein Mitglied des Exekutivkomitees weiß über Kims geheimnisvollen Werdegang offenbar Bescheid. Eine nicht weiter erklärte Anmerkung in Dick Pounds Darstellung über die politischen Hintergründe der Seoul-Olympiade bezieht sich unverblümt auf den „Koreagate“-Skandal in den 1970ern in Washington und die „illegalen Aktivitäten der KCIA“.

   Kim will nicht verraten, ob er ein Kandidat für die IOC-Präsidentschaftsnachfolge ist – doch das tut niemand. Ende 1994 erklärte er: „Ich glaube, es ist Zeit, dass die Hegemonie der westlichen Welt im IOC zu Ende geht.“

   Samaranch selbst hat keinen Zweifel an Mickeys Verband und seiner Version des Taekwondo. Er meint, in dem Sport befänden sich „Prinzipien, die nah an jene herankommen, man könnte sagen mit ihnen verschmelzen, die Baron de Coubertin verfolgt hat.“



[1] Sieger im Schwergewicht war der Korea-Amerikaner Jimmy Kim.

[2] Man könnte ergänzen: Ringen.

[3] Koreanische CIA.

[4] Eigentlich: World Union of Karate Do Organizations. Sie wurde 1990 umbenannt in World Karate Federation (WKF); siehe www.wkf.net.

[5] Damals hieß sie noch International Amateur Karate Federation (IAKF), die Umbenennung in ITKF erfolgte im Mai 1986. Siehe www.itkf.org.

 

StartAktuellDas BuchBilderVorbestellungForumImpressum